Diese Mythen zu Laktase kursieren im Internet seit Jahren

Bild von Martin Lipsdorf in schwarz- weiß.

Martin Lipsdorf stellt seit 2011 Laktasepräparate von Hand in Leipzig her und teilt seine Erfahrungen auf diesem Blog mit Menschen, die keine Milch vertragen.

Über die Jahre haben wir uns sehr bemüht, Betroffenen mit Laktoseintoleranz einerseits mit Mitteln, aber auch mit Können zu helfen, ihren Alltag beschwerdefreier zu gestalten.

Dabei ist uns wichtig, besonders die Dinge zu hinterfragen, die im Internet ganz selbstverständlich in Facebook-Gruppen und Foren immer weitergegeben werden und Betroffenen das Leben sehr erschweren.

Umso mehr traf mich eine Mail einer Bestellerin.

Auf Facebook würde geschrieben, dass Laktase Tabletten dieselben Symptome wie Laktose auslösen würden.

Das ist nicht neu.

Doch als Quelle und Beleg dafür würde auf uns verwiesen.

Das ist neu – und falsch.

Nun ist es gerade auf Facebook immer schwer bösen Willen von einem Missverständnis zu unterscheiden und immer gut, das Letzte anzunehmen.

Dann habe ich bisher keine gute Arbeit im Erklären gemacht: ein Grund für mich, diesen Mythos noch mal außerhalb unseres Nebenwirkungsartikels unter die Lupe zu nehmen.

In diesem Artikel lernen Sie daher:

  • was seit über einem Jahrzehnt im Internet immer wieder geraten wird
  • warum es haltlos ist
  • was daraus für Ihren Alltag an Erleichterung möglich werden kann

Nicht totzukriegen: der Mythos, Laktase würde dieselben Symptome aus wie Laktose auslösen

Schon vor 10 Jahren im Onlineforum Li-base ging ein Gespenst um: wenn man Laktase Tabletten nimmt, ohne dass Laktose in der Mahlzeit ist, rächt sich das mit den gleichen Symptomen.

Ebenso, wenn man zu viel Laktase einnimmt.

Ein Fluch, könnte man zugespitzt sagen, der die Gierigen und Nachlässigen unter uns Laktoseintoleranten – dazu gehöre ich, Joghurt! – bestraft.

Entsprechend, so war schon damals der Rat, müssen Laktase Tabletten zwingend nur bei Laktoseeinnahme genommen werden und dann auch berechnet auf die Menge Laktose.

Die Folge dieses sicher auch gut gemeinten Rats für Betroffene ist immens.

Es klingt harmlos und wohlmeinend, doch gerade frisch Diagnostizierte bringt es auf einen falschen Gleis.

Sie fangen leider oft genug Ihr Leben als Laktoseintolerante damit an, die Lebensmittellisten zu studieren.

Dort finden sie Laktose, dann fragen sie online, wo vielleicht Laktose versteckt ist, finden noch mehr der sogenannten „versteckten“ Laktose (dazu folgt ein eigener Artikel).

Mit der Behauptung, dass Laktase Tabletten auch noch Symptome verursachen, wird daraus ein furchtbares Dilemma.

Nicht nur, dass der Feind scheinbar überall lauert, das Gegenmittel ist in der falschen Dosis scheinbar genauso schlimm.

Also wird weggelassen und sich immer weiter eingeschränkt.

Der Alltag wird ein Minenfeld von Laktosespuren und Unverträglichkeit.

Oft genug steigt die Sensitivität mit dem totalen Verzicht an und für manche schrumpft die Liste der Lebensmittel drastisch zusammen, besonders wenn noch ein anderes Problem vorliegt.

Kurz gesagt: die Laktoseintoleranz greift um sich und bestimmt immer mehr das eigene Leben.

Dabei ist das nach bestem Wissen der aus meiner Sicht falsche Weg.

Um es, gewissermaßen für das Protokoll, ganz klar zu sagen: wir vertreten diese Sicht nicht.

Laktase Tabletten und Laktose sind nur dem Namen nach ähnlich

Um dem Mythos auf den Grund zu gehen, hilft es zu verstehen, was Laktose und Laktase sind.

Laktose ist ein Zucker.

Der Zucker, der in Milch vorkommt.

Als Zucker ist er relativ klein, reich an Energie und leicht verwertbar.

Zumindest für Menschen, die laktosetolerant sind.

Und für die Unzahl an Mikroorganismen, die unseren Darm besiedeln.

Vertragen wir die Laktose nicht, dann landet sie am Ende im Dickdarm und wir dort als energiereiche Speise geschätzt.

Was dann geschieht, das kennen Sie etwa, wenn Sie einen Teig ansetzen und etwas Zucker zugeben.

Die Mikroorganismen naschen den Zucker in großen Mengen und wandeln ihn unter anderem in Gase um.

Ihr Teig geht auf.

Um im Bild zu bleiben: leider fühlen wir Laktoseintoleranten uns oft genug auch, als ob wir aufgehen wie ein Hefeteig.

In unserem Bauch entstehen ebenfalls Gase aus der Laktoseverdauung durch Organismen.

Die bekannten Symptome entstehen.

Laktose ist also ein Zucker, dessen Energie die Organismen in unserem Darm freisetzen wollen – dabei entstehen unter anderem Gase.

Laktase ist dagegen kein Zucker, sondern ein Eiweiß.

Das ist eine andere Nährstoffgruppe, die meist eine andere Funktion hat.

Eiweiße werden in Ihre kleinsten Bestandteile, die Aminosäuren, verdaut und dann wieder neu zusammengesetzt.

Zu Haut, Haaren, Muskeln.

Denken Sie an Bodybuilder, die davon in rauen Mengen in Shakes zusammenmischen.

Eiweiße sind zuallererst Bausteine für unseren Körper und nur in Notlagen werden sie als Energiequelle herangezogen.

Nehmen wir Laktase, so ist das für unseren Körper nicht anders, als würden wir einen Löffel Joghurt essen.

Laktase ist für ihn ein Eiweiß und er spaltet es mit eiweißverdauenden Enzymen mit der Zeit im Magen genau so, wie das Eiweiß im Joghurt.

Dabei entstehen Aminosäuren, die unser Körper aufnimmt und nutzt.

Die Namensähnlichkeit kommt nun davon, dass Laktose von Lakt-ase verdaut werden kann.

Stoffe mit dieser Fähigkeit werden Enzyme genannt und bekommen oft die Endung -ase.

Etwa Proteasen, also Enzyme, die Protein spalten oder Lipasen, Enzyme, die Lipide (Fette) spalten können.

Über diese Namensähnlichkeit hinaus haben Laktase Tabletten mit Laktose im Grunde nichts gemein.

Laktose ist ein energiereicher Zucker, Laktase dagegen ein Eiweiß, das wie alle Eiweiße Aminosäuren liefert.

Doch ich möchte Sie noch zu einem Gedankenexperiment einladen, um den Punkt deutlicher zu machen.

Mein Philosophiestudium muss ja genutzt werden.

Nehmen wir zusammen an, dass ein böser Geist die Laktase in jeder Laktase Tablette in Laktose umwandelt – also in den Zucker, den sie nicht verdauen können.

Wären dann Symptome zu erwarten?

Kaum.

Eine normale Laktasetablette enthält etwas um die 25 mg des reinen Eiweißes.

Der Gesetzgeber schreibt vor, dass Lebensmittel dann als laktosefrei gelten können, wenn sie weniger als 100 mg Laktose pro 100ml Milch enthalten.

Diese Menge ist so niedrig, dass keine Beschwerden zu erwarten sind.

Unser böser Geist hätte also selbst dann wenig Erfolg, wenn wir das Vierfache einer solide dosierten Tablette nehmen.

Die Menge wäre immer noch im Bereich dessen, was keine Symptome verursachen würde.

Selbst wenn es nicht nur wie Laktose wirken würde, sondern sogar Laktose wäre.

Laktase Tabletten und Laktose sind also, wie man im Englischen sagt, zwei ganz verschiedene Tierchen und laktoseähnliche Symptome wären durch die geringe Menge Laktase in jeder Laktase Tablette nicht zu erwarten.

Jede Erfahrung enthält einen Funken Wahrheit

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich dieser „Aberglaube“ einfach so halten könnte, wäre nicht etwas dran an der Geschichte.

Die Erfahrung von Betroffenen ernst zu nehmen ist etwas, das mir sehr wichtig ist und etwas, dass wir seit 10 Jahren persönlich tun: zuhören, ernst nehmen und anregen.

Meine Vermutung ist, dass es sich bei diesem Mythos um einen Versuch handelt, Symptome zu erklären, die den Betroffenen unerklärbar erscheinen.

Ähnlich wie die versteckte Laktose, also Milchzucker in Milligrammmengen, die in manchen Lebensmitteln enthalten sind, könnte auch dieser Mythos etwas zu erklären versuchen.

Das ist, was Mythen letztlich seit den ersten Stammeskulturen tun: Phänomene irgendwie verständlich zu machen, die unerklärt und oft genug beunruhigend sind.

Stellen Sie sich vor, sie nehmen Laktase und essen etwas.

Es treten Symptome auf, doch bei genauem Hinschauen war keine Laktose enthalten.

Sie werden unsicher, vielleicht greifen Sie öfter noch zu Laktase Tabletten.

Die Symptome wiederholen sich aber, ohne dass von Laktose eine Spur gefunden werden kann.

Da liegt der Schluss nahe, dass es entweder Laktose geben muss, die nicht auf dem Etikett steht oder dass Laktase die Ursache ist, denn sie war ja immer beteiligt.

Eine dritte, deutlich wahrscheinlichere Ursache bleibt dabei unbedacht.

Wenn Sie Symptome haben, obwohl keine Laktose enthalten ist, ist die plausibelste Erklärung zunächst, dass die Symptome nicht mit einer Laktoseintoleranz zusammenhängen.

Gerade wenn Blähungen auftreten, dann muss es Zuckerstoffe geben, die von unseren Darmbakterien verdaut wurden.

Die Menge dieser Stoffe muss ausreichend groß sein, dass dabei die recht großen Gasmengen entstehen, die wir spüren.

Während die „versteckte Laktose“ oft in viel zu geringen Mengen (wenn überhaupt) enthalten ist und Laktase auch noch eine ganz andere Art von Stoff ist, könnte es sein, dass neben oder auch statt der Laktoseintoleranz eine andere Unverträglichkeit vorliegt.

Eine gegen das, was in der Mahlzeit in der Regel leicht zu finden ist: eine andere Art von Zucker oder Zucker generell.

Wir wissen mittlerweile, dass bei der Diagnostik der Laktoseintoleranz einiges beachtet werden muss.

Besonders ähnliche Beschwerden, wie etwa eine Dünndarmfehlbesiedlung, sollten bei ungewöhnlichen Problemen ausgeschlossen werden.

Statt also das eigene Leben immer weiter zu begrenzen, möchte ich Ihnen zwei andere Schritte ans Herz legen.

Zuerst ist es immer gut zu schauen, ob an dem Ratschlag überhaupt etwas ist.

Die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen dürfte feststellen, dass Laktase ihnen keine Beschwerden macht.

Doch dazu braucht es Mut, sie zu nutzen.

Der Gewinn an Freiheit ist oft immens.

Merken Sie jedoch weiterhin Beschwerden, ist ein offenes Gespräch mit Ihrem Arzt der nächste Schritt.

Erklären Sie ihm, dass Sie Beschwerden nach Mahlzeiten haben, die keine nennenswerten Laktosemengen enthalten und bitten Sie ihn erneut um Rat.

Aus der Erfahrung der letzten 10 Jahre haben wir oft genug dadurch sehr gern Kunden verloren oder Umsatz eingebüßt: sie waren mutig genug den Arzt zu konsultieren und die Beschwerden waren therapierbar.

Manchmal brauchten sie keine Laktase mehr oder nur noch wenig davon und da es zum Glück den bösen Geist nur in unserem Gedankenexperiment gab, ist das Leben danach für sie wieder deutlich einfacherer gewesen.