Laktase Tabletten nur in Ausnahmefällen? – Eine Verteidigung

Über den Autor:
Martin Lipsdorf ist Lebensmitteltechnologe. Seine Abschlussarbeit hat der an der Hochschule Anhalt über Laktase geschrieben. Seit 2011 stellt er Laktasepräparate von Hand in Leipzig her. Auf diesem Blog teilt er seine Erfahrungen, um Laktoseintoleranten beim richtigen Umgang mit Laktase zu helfen.
Meist beginnt es mit einem nicht sehr hilfreichen Rat im Internetforum, einer Facebookgruppe, einem Hinweis einer Bekannten oder aber mit einem Artikel wie diesem – auf einer anderen Website. Dieser Artikel versucht hilreich zu sein 😉.
Zwei Wege im Umgang mit Laktase Tabletten: Angst oder Selbstsicherheit
Sie sind vielleicht gerade mit Laktoseintoleranz diagnostiziert worden – Ihre Verdauung von Laktose ist also eingeschränkt – und überlegen, wie Sie Ihren Alltag jetzt gestalten sollten. Oder Sie wissen schon lange darum, wünschen sich aber ein Leben mit weniger Einschränkungen. Endlich wieder einmal teilhaben können, mitnaschen.

Sie suchen online oder melden sich in Facebookgruppen an, wo sie die Antwort auf Ihre Hoffnung immer gleich zu sein scheint: Laktoseintolerante müssen Laktose (Milchzucker) unbedingt meiden! Das Enzym Laktase, dass bei der Verdauung von Milchzucker hilft, ist ein Medikament und ausschließlich für Ausnahmefälle. Manchmal bekommen Sie an den Kopf gehauen, dass Laktase Tabletten als Medikament abzulehnen sind („Man nimmt doch keine Chemie!“). Es schwingt der Vorwurf einer persönlichen Schwäche mit, weil man verzichten will. Ihre Hoffnung? Dahin. Stattdessen: Angst.
Aus Angst im Umgang mit Laktase Tabletten nehmen manche Betroffene immer mehr Laktase in überhöhten Dosierungen. „Ich bin stark intolerant – ich benötige deshalb auch die extrem hohen Einheiten Laktase“ – ein Genuss von Milch, das Teilhaben und Mitnaschen erscheint undenkbar.
Das muss nicht sein.
Dieser Artikel soll einen anderen Blick auf Laktase Tabletten geben. Einen hoffentlich Differenzierten, der sowohl gegen die Verteufelung als auch gegen die exzessive Verwendung von Laktase argumentiert. Wenn Ihnen der Artikel zu Beginn dennoch einseitig erscheint, so hat das Methode:
Ich will in gewisser Hinsicht Anwalt gegen die nicht einzudämmende Haltung „Vermeiden + Laktase nur im Ausnahmefällen“ sein. Ich will Sie zum kritischen Hinterfragen und mutigen Probieren anregen, wo bisher viel Werbung mit Angst gemacht wird.
Wir gehen auf die drei häufigsten Behauptungen ein, die Laktase Tabletten in ein schwieriges Licht stellen und schauen, was dran ist – unser Ziel: ein entspannter, souveräner Umgang mit den Tabletten (oder unseren Millis) im Alltag, teilhaben, mitnaschen.
Ganz transparent: Wir verkaufen Laktase – keine Tabletten im Klickspender, sondern handgemachte kleine Dragées (die Millis) – unser Umsatz wäre höher, wenn Sie bei uns bestellen und mehr nehmen. Aber ich könnte mir morgens nicht mehr in den Spiegel schauen, wenn ich Sie zu „höher, mehr“ anrege, damit die Kasse klingelt. Ich hoffe, wir können uns bei Ihnen durch Aufklärung empfehlen. Wenn Sie auf Ihrem selbstsicheren Weg mal Laktase Tabletten benötigen, vielleicht ja unsere Handgemachten.
1. Behauptung: Laktase Tabletten sind Chemie – laktosefreie Milch ist „natürlich“
Meint man mit „Chemie“ von Menschen entwickelte und artifiziell hergestellte Stoffe, dann ist Lactase „aus dem anderen Team“ – Team Natur. Anders als Wirkstoffe in Medikamenten, die designt und synthetisiert werden, ist Lactase ein Stoff, der in jedem Joghurt natürlich vorkommt. Haben Sie sich schonmal gewundert, wie Joghurt entsteht – wie Milch sauer wird? Dabei ist die Laktase in den Joghurtorganismen („Starterkulturen“) beteiligt.

Laktase stamm aus natürlichen Mikroorganismen
Laktase, also der Wirkstoff in den Tabletten, ist zunächst einfach ein Protein. Protein als Nährstoff, aus dem Ihr Körper Muskeln, Haar und Haut bildet, essen sie in der einen oder anderen Form jeden Tag. Laktase ist jedoch kein gewöhnliches Protein.
Manche Proteine haben eine besondere Wirkung.
Denken Sie beispielsweise daran, dass Ananas oder Kiwi Milch ausflocken lässt. Grund dafür ist ein Protein in der Ananas, das Bromelain, das auf die Milcheiweiße wirkt.
Solche Enzyme, die auf andere Stoffe eine Wirkung haben können, nennt man Enzyme.
Auch Lactase hat soeine Wirkung. Sie spaltet den Milchzucker Laktose auf wie eine Schere. Ein Schnitt in der Mitte und es entstehen Traubenzucker und Schleimzucker, die dann vom Menschen verdaut werden.
Durch diese Fähigkeit gehört Laktase zur Gruppe der Enzyme.
Diese besondere Wirkung entsteht nun nicht durch chemische Veränderungen, sondern über den ganz natürlichen Aufbau des Proteins. Lactase ist so gebaut, dass sie eine Stelle hat, die wie ein Schlüsselloch ist.
Der richtige Schlüssel, also der richtige Stoff, passt hinein und löst die Wirkung aus.
Für Laktase ist Laktose der Stoff – deshalb der Name Lakt- und -ase als Bezeichnung dafür, dass hier eine zerteilende Wirkung auftritt. Laktase ist also ein Protein mit besonderer, aber ganz natürlicher Funktion. Es taucht in vielen Lebensmitteln natürlich auf, wie etwa in Joghurt oder Kefir, aber auch in kleiner Menge in Produkten, die in Japan traditionell gegessen werden, die für eine gesunde Lebensweise stehen.
In großer Menge stellt man Laktase heute daher her, indem man den Kojipilz – den Edelschimmel, aus dem Misosuppe und Sojasauce hergestellt werden – in großen Behältern wie beim Bierbrauen fermentieren lässt. Dabei entsteht Laktase aus diesem Mikroorganismus, die danach gereinigt und konzentriert in den Tabletten landet.

Der Konzentrationsschritt ist dabei entscheidend. Während gerade frischer selbstgemachter Joghurt (wir machen ihn sehr gern daheim) oft besser zu vertragen ist, reicht es nicht, einen Joghurt zu einer Mahlzeit mit Milch zu nehmen. Zwar enthält er natürliche Laktase, doch eine moderat dosierte Laktase Tablette enthält leicht das 1000-Fache dessen, was ein Joghurt mitbringt. Das gilt umso mehr für „laktosefreien Joghurt“. Er enthält laut Etikett auch zugesetzte Laktase, doch davon ist im Endprodukt nichts mehr hilfreich.
Laktase ist auch in laktosefreien Milchprodukten enthalten
Auch viele andere laktosefreie Milchprodukte enthalten Laktase als Zusatz, der in der Molkerei bei der Herstellung von Alternativen zu milchzuckerhaltigen Produkten eingesetzt wird. Hier verwendet man je nach Produkt die gleiche Laktase oder eine andere, die auf ähliche Weise in großen Behältern aus einem Hefepilz gewonnen wird (den sie auch in Kefir finden). Die Verdauung von Milchzucker wird gewissermaßen vom Bauch in die Molkerei vorverlegt – laktosefreie Produkte entstehen.
Danach wird alles ultrahocherhitzt und die Laktase dabei so durcheinandergebracht, dass sie keine Laktose mehr spaltet. Sie wird „denaturiert“, also wirkungslos gemacht, ist aber noch enthalten. Sie muss deshalb auf dem Etikett stehen. Doch im Gegensatz zu einem frisch daheim gemachten Joghurt ist die Laktase recht sicher bei allen Produkten vollständig wirkungslos.
Sind Laktase Tabletten also chemischer als laktosefreie Milchprodukte?
Der Wirkstoff Laktase wird in beiden Fällen aus Starterkulturen gewonnen, die von Menschen lange für Speisen verwendet wurden. In beiden Fällen wird die Laktase aufkonzentiert. Bei laktosefreien Produkten erfolgt ein Erhitzungsschritt, der sie unwirksam macht, aber nicht zerstört – doch Laktase ist weiterhin enthalten. Sieht man von den Zusatzstoffen ab, die viele aber nicht alle Tabletten enthalten, ist der Wirkstoff Laktase in jedem Fall enthalten und ein Produkt natürlicher Organismen. Beide Optionen unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht. Der Kernunterschied ist, wann die Laktase arbeitet.
2. Behauptung: „Laktase Tabletten zu oft zu nehmen reizt den Darm und hat schlimme gesundheitliche Folgen.“
Für jeden und jede Betroffene, die sich noch gut an die Beschwerden vor der Diagnose erinnern kann und froh ist, die Ursache gefunden zu haben, erscheint diese Behauptung komplett einleuchtend. Sie sind, so die Diagnose, ja Laktose-intolerant. Mit „intolerant“ schwingt mit: keine Laktose. Gar keine.
Daraus ergibt sich das Gefühl, das Laktose eine Gefahr ist. Laktosefreie Milchprodukte erscheinen hier die bessere Wahl, denn in der Molkerei wird die Laktose bereits bespalten und geprüft, ob sie hinreichend reduziert ist. Laktase Tabletten scheinen dagegen weniger sicher, denn sie haben es im Alltag mit verschiedenen Mahlzeiten (mal groß, mal klein) und einem Bauch in Ruhe oder Stress zu tun.
Was passiert, wenn nun doch nicht die gesamte Laktose „entfernt“ wird? Da wir Betroffenen von uns als „intolerant“ denken, kann das Ergebnis nur schädlich sein – oder nicht?
Die schlechte Nachricht zuerst: Laktase aus Tabletten verdaut kaum die gesamte Laktose, die in einer Mahlzeit enthalten ist. Auch die Untersuchungen in meiner Masterarbeit haben das bekräftigt. Die Gute direkt hinterher: das ist ein Vorteil.
Was passiert mit Milchzucker bei Laktoseintoleranz in unserem Darm?
Die Theorie, die Sie in veralteten Büchern lesen, war lange, dass Laktose unverdaut im Darm „herumschwimmt“, Wasser zieht und so zu Durchfällen führt. Heute weiß man, dass die Laktose die Rechnung ohne Ihre wichtigsten Verbündeten gemacht hat: ihre Darmbakterien.
In einer neuen Studie im Jahr 2024, die in Nature Metabolism erschienen ist, wurde untersucht, ob sich zwischen unverdauter Laktose bei Menschen mit Laktoseintoleranz und der Darmflora nicht sogar ein positiver Effekt finden lässt.
Die Autoren stellen fest, dass unverdaute Laktose – anders als erwartet – sogar nützlich für die Darmflora sein kann. [1]
Laktose kann auch bei Laktoseintoleranz noch von diesen Darmbakterien verdaut werden. Muttermlich enthält etwa Laktose-Zucker, die dafür da sind, diese Bakterien zu füttern. Milchpulver für Babys enthalt diese Zucker namens GOS ebenfalls zugesetzt, um diesen Effekt nachzuahmen.

Unser Darm mag Laktose also im Grunde ganz gern und verdaut sie. Beteiligt daran sind zum Teil die gleichen Mikroorganismen, die sie in jedem Joghurt finden – dazu nutzen sie die ihnen eigene Laktase. Erhalten diese Organismen im Darm mehr Laktose, dann heißt das vor allem: mehr gutes Futter für gute Organismen.
Eine kleine Studie aus 1996 fand sogar, dass mehr Laktose (ohne Laktase) bei Laktoseintoleranz dazu führt, dass diese Organismen sich wohler fühlen und mehr Laktase als vorher produzieren [2]. Sie bekommen mehr zu essen und bedanken sich, indem sie sich nützlich machen. Laktose füttert also gerade die Organismen, die seit unserer Geburt und von unseren Müttern unterstützt im Bauch mit uns Leben.
Klingt das nach Reizung und Giftstoffen?
Die „Gifte“ aus Laktose
Schaut man sich die Literatur durch und sucht nach Begründungen dafür, dass unsere Darmhelfer undankbar sein und Giftstoffe produzieren könnten, wenn man sie gut füttert, findet sich nur eine Gruppe von Wissenschaftlern. Sie leiteten eine Kurklinik für Laktoseintoleranz und sind der Frage nachgegangen, wie genau (nicht ob überhaupt) Laktose Gifte erzeugt. Dabei werden eher unwissenschaftliche Quellen zitiert und mehr Vermutungen als wissenschaftliche Ergebnisse genutzt.
Die Arbeitsgruppe stellen die Vermutung auf, dass bei der Verdauung von Laktose im Darm durch unsere Helfer ein Stoff namens Methylglyoxal frei wird. Dieser Stoff wird dann in Verbindung gebracht mit Krebs, Diabetes und anderen Krankheiten in Verbindung gebracht. Schon haben Sie das gesuchte Gift – zumindest hypothetisch. Eine große deutsche Zeitung machte daraus einen Artikel.
Daran ist einiges aus meiner Sicht schief.
Einerseits: Die Verdauung von Stoffen im Darm ohne Sauerstoff, die sogenannte anaerobe Fermentation, findet im Dickdarm mit vielen Ballaststoffen statt, nicht nur mit Laktose.
Die Gase, die wir nach jedem Bohnenessen in die Welt pupsen, entstehen auf demselben Weg. Unsere Darmflora bildet auf diesem Weg Ihr notwendiges Futter – und das einiger Darmzellen gleich mit. Unser Darm lebt davon, dass in ihm Dinge verdaut werden, die wir nicht als Nahrung nutzen können.
Andererseits: Einige Menschen schwören traditionell auf Manukahonig, dessen Hauptbestandteil Methyglyoxal ist. Einige Studien assoziieren den Stoff sogar mit krebsprotektiver Wirkung und eine kleine Untersuchung. Das Methylglyoxal überhaupt „giftig“ ist, ist so ungesichert wie der Fakt, dass es überhaupt und nur bei der Verdauung von Laktose, aber nicht bei der Verdauung etwa von Vollkornbrot entsteht.

Zuletzt: Die Autoren gehen von der Annahme aus, dass Gifte entstehen und suchen dann das Gift. Aber, ist dem auch so? Mehr Einblick gibt uns eine Studie der Universität Leuven aus den Niederlanden. Hier wurden echte Menschen, laktoseintolerant und -tolerant, untersucht und Proben des Stuhls genommen. Bei der Untersuchung auf schädigende Stoffe fanden die Autoren keinen Unterschied zwischen den Gruppen. Der Kot von Laktoseintoleranten nach der Gabe von Laktose unterschied sich durch die Menge und die Art der Stoffe, die aus der Laktose im Darm gemacht wurden – das ist zu erwarten, denn bei Laktoseintoleranz bekommt der Darm schlicht mehr Futter. Der Stuhl von Laktoseintoleranten enthielt trotzdem aber nicht mehr schädigende Stoffe [3].
Für unsere zweite Behauptung heißt das, das selbst bei Gabe von Laktose, ohne helfende Laktase Tabletten, keine giftigen oder toxischen Stoffe entstehen. Allerdings wissen wir Betroffene nur zu gut, dass die Welt nicht so heil ist, dass es gar keine Symptome nach der Einnahme von Laktose gibt. Im Gegenteil: auch wenn keine Giftstoffe entstehen, sind die Blähungen und Durchfälle oft eine furchtbare Qual.
Jenseits der Gifte: Menge der enthaltenen Laktose machts.
Viele Betroffene haben eine nicht ganz richtige Vorstellung davon was passiert, wenn Laktose in ihren Darm gelangt. Sie stellen sich vor, Laktose wird eingenommen, gelangt in den Bauch und greift dort den Darm an. In kleinen Mengen sind die Schäden dann, so die Idee, gering. In größeren Mengen wird es schlimm.
Sie wissen jedoch nun schon mehr: Ihre Darmhelfer helfen in der obigen Vorstellung. Versetzen Sie sich in die Lage Ihrer Darmhelfer und stellen sie sich vor, sie essen etwas Laktosehaltiges.
Eine kleine Menge Laktose trifft auf eine kleinere Anzahl von Helfern, die Laktose mögen. Sie freuen sich und essen sie auf. Es passiert nichts. Sie essen etwas mehr Laktose. Die Helfer haben gut zu tun, aber schaffen die Arbeit gut. Ein paar Gase entstehen, doch die werden zum Teil (so absurd es klingt) aus dem Darm über die Lunge ausgeatmet. Oder sie pupsen etwas, wie nach Bohnen oder Volkorn.
Sie gehen in die Vollen. Ein Geburtstag: Torte. Im Darm herrscht Aufruhr und Überlastung des Darms. Was vorher wenig problematisch war, etwas Gase, oder sogar nützlich für Darmzellen, wie Fettsäuren, ist nun zu viel: Sie merken es, leider, mit schlimmen Symptomen.
Was ist nun zu viel? Dafür haben wir eine „hochoffizielle“ Analyse des europäischen Lebensmittelsachverständigenrats EFSA. Die EFSA regelt europaweit und sehr kritisch alle Behauptungen rundum Lebensmittel und Gesundheit. Sie stellt auf Grundlage der wissenschaftlichen Datenlage fest [4], dass die absolute Mehrzahl der Betroffenen bis zu 12 Gramm Laktose und eine Minderheit bis zu 6 Gramm Laktose vertragen kann, ohne dabei die Darmhelfer zu überlasten [5].

Innerhalb dieser Grenze von 6 bis zu 12 Gramm – wurde in den Untersuchungen weder ein Zusammenhang mit dem Atemgas noch mit Beschwerden gefunden.
Es gab Betroffene, die deutlich mehr vertrugen und es gab Betroffene, die deutlich weniger vertrugen – dieser Zusammenhang widerspricht nicht dem Befund, sondern zeigt, dass immer auch Extremfälle auftreten.
Wie bei der Körpergröße auch im Mittel ist ein Mann in Deutschland wohl 179 cm. Es kann aber sehr viel kleinere Männer und sehr viel größere Männer geben. Das ist kein Zeichen gegen die Daten, sondern ein Zeichen für eine gute Datenlage.
Was bedeutet das unsere Behauptung, dass Laktase Tabletten zu oft zu nehmen den Darm reizt, weil sie nicht alle Laktose spaltet und weil Mahlzeiten ja manchmal viel Laktose enthalten?
Dazu ein Rechenbeispiel:
Mit rund 5000 FCC-Einheiten Laktase lässt sich eine Reduzierung des Wasserstoffs im Atems, der durch die Verdauung von 25 g Laktose entsteht, um rund 80 % erreichen [6].
Gehen wir davon aus, dass unsere Darmflora kleine Mengen Laktose beim Verzehr laktosehaltiger Speisen ganz gern mag, dann könnte einiges an Laktose „durchrutschen“ und die Mehrzahl der Betroffenen dürfte nichts davon spüren.
Bei 25 g wären nach 80 % Reduzierung noch 5 ungespaltene Gramm übrig. 25 Gramm, das ist ein halbes Kilo Joghurt und immer noch eine Menge, bei der die „durchgerutschte“ Laktose innerhalb der Toleranz der Mehrzahl aller Betroffenen ist. 25 Gramm Laktose sind schwer zu erreichen und im Grunde nur dann, wenn man es wirklich, wirklich will.

Zufällig und unbewusst erwischt das keine Betroffene, die ein wenig Erfahrung (oder Hilfe von uns) hat.
Es ist also schwer unmöglich Lactase mit rund 5000 FCC-Einheiten falsch zu dosieren, wenn das Präparat die mit Bedacht für die Besonderheiten des Enzyms hergestellt wurde, sich also schnell löst und das Enzym rasch freisetzt. Diese Menge reicht selbst bei extremen Laktosemengen in der Mahlzeit aus, um die übrige Laktose in den Bereich zu senken, mit dem laut offizieller Einschätzung die absolute Mehrzahl von uns die eigenen Darmhelfer nicht überlastet.
Für unsere Behauptung heißt das: weder entstehen Giftstoffe noch kann Laktase, weil achtsamer Ernährung, so sehr falsch dosiert werden, dass sie zu Problemen führt. Das setzt immer vorraus, dass sie richtig eingenommen wird.
Wenn also davon die Rede ist, dass nur extreme Laktasemengen oder laktosefreie Lebensmittel sicher sind, dann ist unklar, wovor wir Betroffenen geschützt werden sollen und wieso mehr „Sicherheit“ nötig ist. Das Ziel lautet beschwerdefrei zu sein. Dieses Ziel erreichen wir, indem wir die Laktose in den Bereich reduzieren, in dem unsere Darmhelfer gut damit zurechtkommen. Ist dieser Bereich erreicht, ist weniger nicht besser – beschwerdefrei ist beschwerdefrei.
3. Behauptung: Sie sind ein schlechter Mensch, wenn Sie nicht auf Laktose verzichten. Vor allem, wenn Ihre Kinder Laktase Tabletten bekommen.
Ich habe viele Jahre Psychologie und Philosophie studiert (zu viele, zugegeben), bevor ich Lebensmitteltechnologe geworden bin.
Es gibt Menschen und auch Kulturkreise, die biografisch und geschichtlich bedingt den Wunsch haben, das „Richtige“ zu tun und sich durch Disziplin zu beweisen. Daran ist wenig auszusetzen. Schwierig wird es, wenn diese Tugend auf Andere ungefragt und vor allem unsachlich übertragen wird.
Das ist, was ich als stiller Beobachter online lese: Die laktoseintolerante Gemeinschaft scheint immernoch entschieden zu sein, Ihr Leben einzuschränken und Ausnahmen als „Laster“ und Schwäche anzukreiden. Kurz: Sie sind ein schlechter Mensch, wenn Sie sich nicht „im Griff haben“ und vor allem dann, wenn Ihre Kinder Laktase Tabletten bekommen, weil Sie es „nicht auf die Reihe bekommen“ (O-Töne).
Vielleicht liegt hier ein Stück abendländisch-christliche Morallehre drin, die darin etwas Gutes sieht, sich selbst (und den eigenen Kindern) unbeschwerten Genuss und Freude zu versagen, wenn sie „falsch“ erscheinen. Vielleicht ist es auch ein gutes Stück Egomanie und Wunsch, sich selbst als tugendhaft herauszu stellen. Was auch immer es seelisch ist: fachlich ist es Unsinn.
Sie und auch Ihre Kinder können als Betroffene, als Betroffener, kleine Mengen Milchprodukte naschen. In der Regel auch ganz ohne Hilfsmittel. Laktase Tabletten können bei großen Mengen helfen, die Last wieder in einen Bereich zu reduzieren, der Symptome ausbleiben lässt – nichts daran ist verwerflich. Sie wissen es nun besser. Selbst wenn Sie ein gutes Maß an Disziplin versus Genuss für richtig erachten können Sie nun Ihre „richtige Mitte“ viel freier wählen. Jenseits der Schwarz-Weiß Malerei.

Zusammengefasst:
Laktase ist so chemisch oder unchemisch wie jedes Nahrungsprotein – und in laktosefreien Milchprodukten ebenso zugesetzt.
Laktase / Lactase spaltet Laktose recht zuverlässig in einer Stärke von 5000 FCC, die für die absolute Mehrzahl der Betroffenen ausreichen dürfte.
Von dem, was an Laktose hindurchrutscht, ist kein Schaden zu erwarten – im Gegenteil: Ihre Darmhelfer bekommen Ihr Lieblingsfutter.
Die Stoffe, die dabei entstehen, entstehen bei der Verdauung von anderen Stoffen ebenfalls, es gibt keinen Hinweis auf Ihre Giftigkeit.
Laktase Tabletten reduzieren die Laktose in den Bereich, der für Ihre Darmhelfer ausreichend sind – selbst bei großen Mahlzeiten. So groß, dass Sie sie als aufgeklärter Betroffener und aufgeklärte Betroffene nur mit viel List und Tücke, kaum aber überraschend, erreichen würden.
Wenn Ihr Lieblingseisbecher also riesig ist, dann nehmen Sie doch besser 10 000 FCC – für alle anderen Leckereien werden 5000 FCC ohne böse Überraschungen ausreichen.
Zuletzt: Moral und Tugend haben Ihren Platz. Als Dekor auf einem leckeren Eisbecher im Sommer eignen sie nicht. Genießen Sie die kleinen und großen Freiheiten mit Freunden, die gemeinsame Lebenszeit, sind sie auch mit Laktase Tabletten ein guter Mensch.
Laktase ist wirksam, das Leben kurz, genießen Sie es.
[1]Luo, K., Chen, G. C., Zhang, Y., Moon, J. Y., Xing, J., Peters, B. A., … & Qi, Q. (2024). Variant of the lactase LCT gene explains association between milk intake and incident type 2 diabetes. Nature Metabolism, 6(1), 169–186.
[2] Hertzler, Steven R., and Dennis A. Savaiano. „Colonic adaptation to daily lactose feeding in lactose maldigesters reduces lactose intolerance.“ The American journal of clinical nutrition 64.2 (1996): 232–236.
[3] Windey, Karen, et al. „Contribution of colonic fermentation and fecal water toxicity to the pathophysiology of lactose-intolerance.“ Nutrients 7.9 (2015): 7505–7522.
[4] Savaiano, D. A., Boushey, C. J., & McCabe, G. P. (2006). Lactose intolerance symptoms assessed by meta-analysis: a grain of truth that leads to exaggeration. The Journal of nutrition, 136(4), 1107–1113.
[5] EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA). „Scientific opinion on lactose thresholds in lactose intolerance and galactosaemia.“ Efsa Journal 8.9 (2010): 1777.
[6] Portincasa, P., et al. „Beneficial effects of oral tilactase on patients with hypolactasia.“ European journal of clinical investigation 38.11 (2008): 835–844.